Der Staat, den die Eliten nicht wollten
Österreich ist nach dem 1. Weltkrieg aufgespalten zwischen Feinden und Freunden der Demokratie.
Vor allem aus Angst vor einem Aufstand der ArbeiterInnen stimmen auch konservative Kräfte
für eine demokratische Republik.
Die SozialdemokratInnen bilden bis 1920 gemeinsam mit den Christlichsozialen in der provisorischen Nationalversammlung die
Regierung und können trotz der schwierigen Rahmenbedingungen viele Meilensteine für die arbeitenden Menschen bewirken.
Aber der
erhoffte Anschluss an das große demokratische Deutschland wird Österreich mit dem Friedensvertrag von St. Germain untersagt.
Vor allem die miserable Wirtschaftslage verschärft soziale Konflikte in der jungen Republik.
Der Staat, den die Eliten nicht wollten
Die Losung „Der Staat, den keiner will“ findet im Zusammenhang mit den Problemen, denen sich die junge Republik 1918 stellen muss, immer wieder Eingang in die Diskussion über die Zwischenkriegszeit.
Betrachtet man aber Bilder vom Gründungstag der Ersten Republik ergibt sich ein gänzlich anderer Eindruck. Tausende von Menschen feierten in Wien die neu ausgerufene Republik. Grund dafür war vor allem eines: Mit dem Ende der Monarchie verloren Aristokraten und (Groß)Bürgertum die wesentliche Stütze ihrer Privilegien gegenüber den weitgehend rechtlosen ArbeiterInnen und der kleinbäuerlichen Bevölkerung. Das kurzfristig entstehende Machtvakuum konnte die Sozialdemokratie für sich nutzen und gegen die ehemals Privilegierten politische und soziale Reformen im großen Stil durchsetzen. Bereits 1918 wurde das allgemeine, gleiche und freie Wahlrecht installiert, das die Stimmengewichtung zugunsten der Besitzenden abschaffte und Frauen in den Kreis der Wahlberechtigten einbezog. In diese Zeit fallen aber auch viele sozialpolitische Errungenschaften, wie der 8-Stunden-Tag, die Arbeitslosenversicherung, der Urlaubsanspruch für ArbeiterInnen, das Betriebsrätegesetz, eine Schulreform und die Gründung der Arbeiterkammer.
In der kurzen Zeit des Provisoriums kämpfte vor allem die Sozialdemokratie als stimmenstärkste Partei in der Koalition mit den Christlichsozialen für die Demokratie, die sie als wesentliche Voraussetzung dafür sah, auf friedlichem Wege eine freie und gleichberechtigte Gesellschaft zu erreichen. Im Jahr 1920 wurde die Verfassung der Ersten Republik Österreich beschlossen, die maßgeblich von Hans Kelsen geprägt wurde.
Zwar gab es am Anfang der Ersten Republik tatsächlich auch den viel zitierten Wunsch nach einem Anschluss an Deutschland, die politischen Motive konnten aber unterschiedlicher nicht sein: Während sich die Sozialdemokratie dadurch eine Stärkung der ArbeiterInnenbewegung erhoffte, ging es den Rechten vielmehr um nationalistische und auch rassistische Motive. Doch mit dem Friedensvertrag von Versailles beendeten die Siegermächte ohnehin jegliche Hoffnung auf einen Anschluss an ein demokratisches Deutschland.
Die revolutionäre Welle, die Österreich in diesen Jahren erlebte, verebbte im ländlichen Bereich schnell und die Sozialdemokratie verlor damit den Rückhalt der LandarbeiterInnen. In diesen ersten Jahren der Republik entschied die Sozialdemokratie, sich strategisch auf ihr WählerInnenpotential in den Städten zu konzentrieren. Dabei wurde verabsäumt, die LandarbeiterInnen zu organisieren und deren Forderung nach einer gerechteren Verteilung von Grund und Boden den nötigen Stellenwert zu geben. Damit fehlten der Sozialdemokratie viele Stimmen bei der Wahl 1920. Auch die kleinen und mittleren Bauern, die anfangs mit der Sozialdemokratie sympathisiert hatten, wandten sich sukzessive ab. Diese hatten sich von der Republik vor allem erhofft, von kriegsbedingten Beschlagnahmungen ihrer Lebensmittel verschont zu bleiben. Dennoch kam es in den wirtschaftlich schlimmen Jahren nach 1918 immer wieder zu solchen Aktionen, um die BewohnerInnen in den Städten versorgen zu können. Beteiligt waren nicht nur Arbeiter- und Soldatenräte, sondern auch die staatliche Obrigkeit.
Politischer Wandel und wirtschaftlicher Niedergang in den 1920er Jahren
Die Sozialdemokratie verfehlte bei den Nationalratswahlen von 1920 die absolute Mehrheit und ging in Opposition. Die konservative Regierung stand vor großen ökonomischen und sozialen Herausforderungen: Zum einen belasteten die Reparationszahlungen das Budget, zum anderen war ganz Europa auf wirtschaftlicher Talfahrt. Es kam zu einer verheerenden Inflation, die 1922 ihren Höhepunkt erreichte.
Um „die Inflation einzudämmen sowie den Staatshaushalt und damit die österreichische Volkswirtschaft zu sanieren“, wie der konservative Bundeskanzler Seipel meinte, wurde ein folgenschweres Sanierungskonzept durchgesetzt: Die österreichische Wirtschafts- und Finanzpolitik wurde unter Kuratel des Völkerbunds gestellt und die im Zuge der „Genfer Sanierung“ aufgenommenen Auslandskredite an strenge Auflagen geknüpft. Damit wurde zwar innerhalb eines Jahres der Staatshaushalt ausgeglichen, doch die sozialen Folgen der konservativen Wirtschaftspolitik waren - ähnlich der gegenwärtigen Politik gegenüber den EU Krisenstaaten - verheerend. Durch die Entlassung zehntausender Beamter und die Einhebung neuer Steuern, die vor allem die unteren Einkommen schwer trafen, erfolgte eine rasante Verarmung breiter Bevölkerungsschichten.
Gleichzeitig hatte die Regierung begonnen, den "sozialen Schutt wegzuräumen" (Seipel). Gemeint waren damit die sozialpolitischen Maßnahmen, für die die Sozialdemokratie in den ersten beiden Jahren der Republik gekämpft hatte. Mit diesen Maßnahmen zum „Schutze der Wirtschaft“ stabilisierte sich zwar die Währung, den Preis dafür trugen aber vor allem die ArbeiterInnen. Die soziale Not in Österreich erreichte immer weitere traurige Höhepunkte.
Als 1929 die Weltwirtschaft mit dem „Schwarzen Freitag“ in eine Krise stürzte und in Österreich die systemrelevante creditanstalt gerettet werden musste, führte die wachsende soziale Not zu einer weiteren Radikalisierung in der Bevölkerung. Im Mai 1931 erreichte die Krise auch Österreich in vollem Ausmaß. Das Bruttoinlandsprodukt verringerte sich von 1929 bis 1933 um ein Viertel und das Lohnniveau sank um 30 Prozent. Am Tiefpunkt der Krise waren mehr als 550.000 Menschen arbeitslos. Dauerarbeitslosigkeit gekoppelt mit wenigen oder keinen staatlichen Zuwendungen wurde zu einer Massenerscheinung und schwächte die Position der ArbeiterInnen und damit auch die Schlagkraft der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) und der Freien Gewerkschaften.